Teufelskreis des Lehrermangels durchbrechen

Wer kennt sie nicht? Vorurteile, Klischees und ein oftmals verzerrtes Bild des Lehrerberufs. Dem entgegenzuwirken, hat sich die Kampagne „Lehrer.in.Ostbelgien“ verschrieben, die am Mittwoch während einer Pressekonferenz in einem Klassenraum der Primarschule des Königlichen Athenäums Eupen (KAE) vorgestellt wurde.

Bildungsministerin Lydia Klinkenberg (ProDG) präsentierte die Initiative gemeinsam mit Lehrkräften, Vertreterinnen der Autonomen Hochschule (AHS) und Dirk Vandriesche, dem Direktor der Agentur „Talking Circles“. Nicht zufällig wurde dafür ein Klassenzimmer als Ort gewählt. Wie in der Kampagne standen auch in der Pressekonferenz die Lehrkräfte im Zentrum. Stellvertretend für ihren Berufsstand waren das am Mittwoch Linda Rosenstein und Myriam Kalscheuer-Louvet, beide Primarschullehrerinnen am KAE. Eindrücklich gaben sie einen Einblick in ihren Schulalltag und die enorme Vielseitigkeit, die dieser Beruf mit sich bringt. Diese mitunter emotionalen und durchaus authentischen Einblicke können auf der Webseite www.lehrerinostbelgien.be in kurzen und sehr ansprechenden Videos eingesehen werden.

Die Ministerin betonte einleitend zur Pressekonferenz die Bedeutung des Lehrerberufs für die Gesellschaft und die individuelle Entwicklung von Kindern. Sie verwies auf die Tatsache, dass Lehrerinnen und Lehrer nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Werte und Persönlichkeitsentwicklung fördern. Dennoch sei der Lehrerberuf von einem Fachkräftemangel betroffen, der nicht nur in Belgien, sondern auch europaweit spürbar sei. Die Kampagne zielt also zum einen darauf ab, den Fachkräftemangel im Bildungsbereich zu beheben und zum anderen das Berufsbild des Lehrers insbesondere in der öffentlichen Wahrnehmung aufzuwerten.

Lydia Klinkenberg verwies auf Prognosen, die besagen, dass bis zum Schuljahr 2029/2030 insgesamt 477 Vollzeitäquivalente (VZÄ) benötigt werden, aber derzeit nur 427 VZÄ in der Primarschule beschäftigt sind. Sie unterstrich die Dringlichkeit, „den Teufelskreis des Lehrermangels zu durchbrechen“. Eine zentrale Rolle werde ebenfalls die „Vision 2040“ spielen, die derzeit entwickelt wird und darauf abzielt, bessere Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte zu schaffen. Dirk Vandriesche erläuterte anschließend das Konzept der Kampagne. Sie zeigt Lehrer, die über ihren Beruf sprechen und erklären, warum sie diese Berufswahl getroffen haben und was sie daran besonders schätzen. Die Kampagne besteht aus kurzen, prägnanten Videos, die über soziale Medien und verschiedene Webseiten verbreitet werden, sowie aus Plakaten, Anzeigen und „City Lights“. Die Kampagne soll zudem Jugendliche dazu ermutigen, sich für den Lehrerberuf zu interessieren und sich über die Ausbildung und die Anforderungen des Berufs zu informieren. Eine eigens für diese Kampagne erstellte Webseite bietet Informationen über den Beruf des Lehrers und die Ausbildung an der Autonomen Hochschule (AHS) zum Kindergärtner oder Primarschullehrer. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, einen „Online-Selbsttest“ zu machen, der Orientierungshilfe bieten soll, ob die eigenen Vorstellungen und Erwartungen an den Beruf der Realität entsprechen. Die Ministerin betonte, dass die Kampagne allein nicht ausreichen werde, um den Lehrermangel zu beheben, aber in Kombination mit anderen Maßnahmen einen wichtigen Beitrag leisten könne.

Annick Gördens, Dozentin, und Cathérine Mattar, Leiterin des Fachbereichs Bildungswissenschaften der AHS, boten einen Überblick über Aufnahmeverfahren und unterschiedliche Möglichkeiten, an der Hochschule zur Lehrkraft ausgebildet zu werden. Um einen Studienplatz im Fachbereich Bildungswissenschaften an der Autonomen Hochschule Ostbelgien (AHS) zu erhalten, müssen vier Schritte absolviert werden. Zunächst die „Geführte Tour 1“ des Online-Selbsterkundungsverfahrens CCT, um herauszufinden, ob das Lehramtsstudium und der Lehrer- oder Kindergärtnerberuf Ihren Erwartungen entsprechen. Hat die Selbsterkundung das Interesse bestätigt, steht einer Anmeldung zum weiteren Aufnahmeverfahren nichts im Weg. Zur Anmeldung wird ein Online-Formular zur Verfügung gestellt, das ausgefüllt und ein Termin für die Prüfung der kognitiven und sprachlichen Grundfertigkeiten gewählt wird. Diese Prüfung findet in den Räumlichkeiten der AHS statt und besteht aus einem 90-minütigen digitalen Test sowie dem Verfassen einer argumentativen Stellungnahme zu einem pädagogischen Thema. Nach Bestehen der Prüfung erhalten die Antragsteller einen Termin für ein persönliches Gespräch. Dieses besteht aus einer Selbstpräsentation zur Motivation und Vorstellungen vom Beruf sowie einer Videoanalyse eines kurzen Films aus dem Schulalltag. Die Fähigkeiten werden in verschiedenen Bereichen beurteilt. Bei erfolgreichem Bestehen kann man sich zum Studium einschreiben, während bei Nichtbestehen ein Beratungsgespräch in Anspruch genommen werden kann. Darüber hinaus gibt es aber auch noch die Möglichkeit eines sogenannten Brückenstudiums, das es in zwei Varianten gibt. Zum einen können bereits ausgebildete Kindergärtner durch eine einjährige Zusatzausbildung den Bachelor zum Primarschullehrer erlangen. Zum anderen können „Quereinsteiger“ mit fachfremdem Bachelor- und/oder Masterabschluss in einem anderthalbjährigen Zusatzstudium an der AHS den Abschluss als Primarschullehrer erwerben.

Bildungsministerin Klinkenberg verwies abschließend auch nochmals auf das Stipendiensystem, das einen zusätzlichen Anreiz für angehende Lehrer in Ostbelgien schaffen soll. Die Stipendien in Höhe von 350 Euro müssen nicht zurückgezahlt werden, wenn die Absolventen innerhalb von fünf Jahren mindestens zwei Jahre als Lehrkraft in Ostbelgien tätig sind.

GrenzEcho am 20.04.2023