Die Zahlen zur Obdach- und Wohnungslosigkeit stammen aus einer großangelegten Studie, die mit Unterstützung der König-Baudouin-Stiftung (KBS) und Forschenden der Universitäten Löwen und Neu-Löwen – unter Federführung des aus Büllingen stammenden Prof. Dr. Martin Wagener – ermittelt wurden.
In der Studie wird unterschieden zwischen „Obdachlosigkeit“ und „Wohnungslosigkeit“. Was ist der Unterschied? Obdachlosigkeit bezieht sich auf die Situation von Personen, die im wörtlichen Sinne ohne ein Dach über dem Kopf sind und im Freien oder in provisorischen Unterkünften leben, wie zum Beispiel unter Brücken oder in verlassenen Gebäuden. Obdachlose Menschen haben keinen festen Wohnsitz und sind häufig von extremer Armut, sozialer Isolation und einem Mangel an Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen betroffen. Wohnungslosigkeit hingegen bezieht sich auf die Situation von Menschen, die zwar vorübergehend eine Unterkunft, aber keinen festen Wohnsitz haben. Oftmals leben sie in einer unsicheren, unzureichenden oder prekären Wohnsituation. Dazu gehören Personen, die bei Freunden oder Verwandten unterkommen, in Übergangswohnungen oder Wohnheimen leben oder in anderen temporären Unterkünften untergebracht sind. Der Hauptunterschied zwischen Wohnungs- und Obdachlosigkeit liegt demnach in der Art der Unterkunft und dem Grad der Stabilität und Sicherheit, den sie bieten.
Die Studie der Unis in Löwen und in Neu-Löwen ergab, dass 192 Menschen in der DG von direkter Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffen sind. Darunter fünf obdachlose Personen, die also im öffentlichen Raum leben. Ein Großteil der 187 von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen kommt, laut Studie, bei Freunden oder Verwandten unter, während ein anderer Teil in unkonventionellen Unterkünften wie Zelten oder Garagen lebt. Besonders besorgniserregend ist die Zahl der betroffenen Kinder, von denen insgesamt 31 gezählt wurden.
In Reaktion auf drei parlamentarische Fragen von Jolyn Huppertz (CSP), Liesa Scholzen (ProDG) und Diana Stiel (Vivant) wies Minister Antoniadis darauf hin, dass die Zahlen „richtig interpretiert werden müssen“, da die 192 erfassten Personen nicht alle Obdachlose im klassischen Sinne seien. Die Studie untersuche verschiedene Formen von Obdach- und Wohnungslosigkeit und verwende eine breit gefasste Definition und Zählmethodik. Die Regierung plane, die Zählung alle drei Jahre durchzuführen, um Entwicklungen messen zu können. Die Ergebnisse würden in die Bedarfsermittlung für das Wohnungswesen einfließen, die bei der RWTH Aachen in Auftrag gegeben worden sei.
Minister Antoniadis betonte zudem, dass mehr bezahlbarer Wohnraum alleine das Problem nicht lösen würde, da Wohnungslosigkeit meistens die Folge einer Ursache sei, die woanders liege. Er schlug vor, eine qualitative Untersuchung durchzuführen, um mehr Informationen über die Betroffenen und wie es zu der prekären Situation gekommen ist, zu erhalten. Zudem sollten gemeinsam mit den verschiedenen Diensten in Ostbelgien weitere Lösungsansätze und angepasste Maßnahmen erarbeitet werden.
Die Kleinheit der Deutschsprachigen Gemeinschaft ermögliche eine umfassende Analyse dieser Art. „Das ist eine Chance, von der anderen Regionen nur träumen können“, so Antoniadis. Ein Vergleich der Zahlen im nationalen Kontext zwecks Orientierung sei schwierig. Dafür unterscheide sich die DG in ihrer Kleinheit dann doch zu stark von den übrigen Regionen. Wenn nach der Lektüre des 65-seitigen Berichts noch Fragen offen sein sollten, könne der Ausschuss Prof. Dr. Martin Wagener zu einer Vorstellung der Ergebnisse in den Ausschuss einladen, schlug Minister Antoniadis abschließend in seiner Antwort vor.
Jolyn Huppertz (CSP) äußerte in ihrer Replik erneut Bedenken bezüglich der Entwicklung von 192 wohnungs- oder obdachlosen Menschen in Ostbelgien: „Ich finde es schon erstaunlich, dass wir 2023 von 192 Menschen sprechen, die obdach- beziehungsweise wohnungslos sind in der DG, obwohl wir 2021 offensichtlich keine hatten.“
Liesa Scholzen (ProDG) wies darauf hin, dass von den 192 betroffenen Personen nur fünf auf der Straße leben und betonte ebenfalls die Notwendigkeit einer qualitativen Studie, „weil man ja nicht ‚einfach so‘ wohnungslos oder obdachlos ist. Da steckt ja meistens mehr dahinter.“
Diana Stiel (Vivant) sprach die geistigen Gesundheitsprobleme der Betroffenen an und betonte die Bedeutung der Hilfestellung bei Depressionen. Eine Studie aus Deutschland komme zu dem Schluss, dass 20 Prozent der Menschen bei Depressionen keine Hilfe fänden. „Dann ist das für mich auch ein Teil, wo man ansetzen soll“, so die Vivant-Abgeordnete.
Freddy Mockel (Ecolo) hob die familiäre Solidarität in Ostbelgien und die Rolle der Einrichtungen hervor: „Wenn man nur fünf Personen zu diesem Zeitpunkt erfasst hat, die wirklich im öffentlichen Raum ohne jeglichen Schutz dastehen, dann hat das auch viel zu tun mit der familiären Solidarität in Ostbelgien und den Einrichtungen, die diese Situationen erst einmal auffangen.“
Karl-Heinz Lambertz (SP) lobte die Zusammenarbeit bei der Durchführung der Studie und betonte die Bedeutung, auf die Ergebnisse einzugehen. „Wir sollten jetzt wirklich die Möglichkeiten, die wir durch diese Studie haben, nutzen, um maßgeschneidert auf dieses Problem einzugehen“, so Lambertz.
Minister Antonios Antoniadis (SP) hob diesen Aspekt abschließend ebenfalls hervor und betonte, man brauche mehr Details über die Ursachen der Probleme, die diese Menschen hätten, „damit wir Maßnahmen definieren können, die greifen“.