Die Abgeordneten Robert Nelles (CSP) und Karl-Heinz Lambertz (SP) wollten am Montag bei der Regierungskontrolle im Parlamentsausschuss von Ministerpräsident Oliver Paasch (ProDG) wissen, wie es weitergeht. Die Föderalregierung hatte Mitte Februar einen Bericht über die Online-Befragung „Ein Land für morgen“ veröffentlicht. Seit April 2022 hatten sich etwas mehr als 10.000 Belgier zur Entwicklung der Demokratie und der staatlichen Strukturen geäußert. Fragen dazu waren in sechs große Themenbereiche unterteilt. Die Expertengruppe, die die Antworten zusammengestellt hatte, habe die Ergebnisse der Konsultation als „nicht repräsentativ“ für die Meinung der Belgier bezeichnet, stellte Nelles fest.
Meinungen darüber, wie das Land vereinfacht werden könnte, gehen weit auseinander.
Inwiefern sich die Bürger der DG beteiligt hätten, werde aus dem Bericht aber nicht ersichtlich. „Lediglich in Zusammenhang mit dem Kommunikationsaufwand und der Nutzung der diversen Informationskanäle lassen sich Rückschlüsse auf die Einbeziehung unserer deutschsprachigen Mitbürger ziehen.“ Und auch wenn die Repräsentativität nicht das erklärte Ziel der Befragung gewesen sei, werfe sie doch vor allem hinsichtlich der gewonnenen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen einige Fragen auf. „So scheint sich eine große Einigkeit darin abzuzeichnen, dass die Institutionen unseres Landes vereinfacht werden müssen. Allerdings gehen die Meinungen darüber, wie diese Vereinfachung aussehen soll, weit auseinander. Sie reichen von der Rückkehr zum Einheitsstaat über die verstärkte Übertragung zusätzlicher Kompetenzen an die Teilstaaten bis hin zur Spaltung oder gar Angliederung an andere Länder“, erläuterte Robert Nelles.
„Auch hinsichtlich der Frage, dass die Regierungsbildung in Belgien zu lange dauert, waren sich die Mehrheit der Personen, die an der Befragung teilgenommen haben, einig. Aber wie diese verkürzt werden soll, da gibt es auch wiederum die widersprüchlichsten Auffassungen.“ Der CSP-Parlamentarier ging ebenfalls auf Kritik an dem Prozess ein, die vor allem damit zu tun hat, dass die Umfrage nicht repräsentativ ist, unter anderem, weil sie nur per Internet stattgefunden habe. Von Oliver Paasch wollte Nelles wissen, wie die DG-Regierung damit umgehen werde. Karl-Heinz Lambertz griff das Thema ebenso auf. Er sei nicht „allzu enttäuscht“, weil er ohnehin keine großen Erwartungen gehabt habe. Bei seinen Fragen erwähnte Lambertz auch Verfassungsartikel 139, über den die DG Befugnisse von der Wallonischen Region übernehmen kann. davon hatte die DG schon mehrfach Gebrauch gemacht.
Oliver Paasch wies auf eine Sitzung des Konzertierungsausschusses an diesem Mittwoch hin. In diesem Gremium sind Vertreter der Föderalregierung und der Regierungen der Teilstaaten vertreten. Der Ministerpräsident vertritt die DG. Der Ausschuss wird sich dabei auch mit einem Bericht befassen, den eine „interföderale Taskforce“ auf sage und schreibe 2.429 Seiten festgehalten hat. Zweiter „Pfeiler“ sei die erwähnte Bürgerbeteiligungsplattform gewesen. Wie versprochen, sei diese auch auf Deutsch zugänglich (Infos gibt es unter https://demain-toekomst-zukunft.be). „Für den technischen Aufbau und den Ablauf der Bürgerbefragung war jedoch ausschließlich die föderale Regierung zuständig. Dafür können wir als Gliedstaaten nun wirklich keine Verantwortung übernehmen.“
Dem in der Presse veröffentlichten Endbericht zur Befragung sei zu entnehmen, dass deutschsprachige Werbemaßnahmen in Radio und Fernsehen sowie in sozialen Medien mindestens 164.000 Endverbraucher erreicht hätten. „Über die Anzahl aktiver deutschsprachiger Teilnehmer an der Befragung gibt der Endbericht hingegen keine Auskunft.“ Rückschlüsse auf Stimmungsbilder in der DG würden sich hieraus ohnehin nicht ziehen lassen. Dies gehe viel besser über eine repräsentative Umfrage des Institutes INFO, die einmal pro Legislatur in Ostbelgien durchgeführt werde. Und wie laufen die Ergebnisse? Demnach sind 56 Prozent der Einwohner mit den heutigen Zuständigkeiten der DG zufrieden. 35 % wollen, dass die DG mehr Befugnisse ausübt, und lediglich 9 % seien der Meinung, dass die DG „zu viele Kompetenzen“ habe. Eine Mehrheit (55 %) spricht sich grundsätzlich für eine eigene Region aus, während 39 % denken, „dass wir Teil der Wallonischen Region bleiben sollten“, wie Oliver Paasch erklärte. Inwiefern es eine tiefgreifende Debatte über eine siebte Staatsreform geben werde, müssten die kommenden Monate zeigen. Vielleicht gebe es schon Erkenntnisse bei der anstehenden Sitzung des Konzertierungsausschusses. Die Position der DG sei klar und deutlich: „Wir wollen ein gleichberechtigter Partner im föderalen Staatsaufbau sein. Wir plädieren für einen vereinfachten Staatsaufbau. Wir wollen alle Befugnisse übernehmen, die den Gliedstaaten übertragen wurden beziehungsweise noch übertragen werden.“ Gespräche über Verfassungsartikel 139 sollen mit der Wallonie mit Blick auf die kommende Legislatur geführt werden. Sinnvoll wäre es deshalb, wenn sich das Parlament in dieser Frage erneut positioniere, so Paasch.
Bei aller Komplexität sollten die Bemerkungen der Bürger berücksichtigt werden.
Bei der anschließenden Debatte wiesen Freddy Cremer (ProDG), Freddy Mockel (Ecolo) und Michael Balter (Vivant) darauf hin, wie wichtig es sei, die Meinungen und Bemerkungen der Bürger bei aller Komplexität dennoch zu berücksichtigen. Es zeige sich jedoch, dass „Masse nicht gleich Klasse“ sei, fügte Karl-Heinz Lambertz hinzu. Problematisch sei auch, dass viele Anregungen „miteinander inkompatibel“ seien.
Entscheidend sei vor allem, so Vivant-Sprecher Michael Balter, dass eine weitere Staatsreform „kostengünstiger“ für den Steuerzahler werden müsse. Diesem sei es letztlich egal, wer welche Kompetenzen ausführe. Oliver Paasch ging darauf ein: Mehr Effizienz sei richtig, doch um dies zu erreichen, müsse man eine Reform auch umsetzen. Das gehe aber nicht, wenn man wie Vivant gegen eine weitere Staatsreform sei. „Begeben Sie sich also nicht ständig in einen Widerspruch“, sagte Oliver Paasch in Richtung Michael Balter. Er sei außerdem überzeugt, dass die Menschen sehr wohl zu schätzen wüssten, wenn Entscheidungen in ihrer Nähe getroffen würden, um diese besser nachzuvollziehen, erklärte der Ministerpräsident.
GrenzEcho am 15.03.2023