Konzentriert steht Moïse Roehl in der Werkstatt der Eynattener Firma Mauel und bearbeitet mit einem Elektroschleifer eine Holzplatte. Der 15-Jährige hat den Vorteil gegenüber manchem Mitschüler, dass er seine Schnupperwoche nicht mit ganz leeren Händen absolviert. Er ist im vierten Jahr des Eupener Robert-Schuman-Institut in der Fachrichtung Holz.
In diesem Jahr sind es weniger Schüler als sonst, die die Chance ergreifen. Gerade einmal 72 Teilnehmer sind aktuell über die verschiedenen Betriebe in Eifel und Eupener Land verteilt. Ursache ist aber keinesfalls, dass das Erfolgsmodell „Schnupperwochen“ schwächelt, sondern Probleme mit dem Föderalstaat.
Der wollte eigentlich Praktikanten und Auszubildenden etwas Gutes tun und hat die Betriebe und Kandidaten verpflichtet, einen ganzen Parcours mit medizinischer Untersuchung, Begutachtung und sonstiger Bürokratie zu absolvieren.
Das ist natürlich bei einem kleinen Schnupperpraktikum völlig überzogen. „Als die Föderalebene das beschlossen hat, war denen nicht bewusst, was es hier alles gibt“, vermutet man beim IAWM. Nach Verhandlungen von DG-Bildungsminsierin Lydia Klinkenberg (ProDG) mit dem Landesarbeitsamt und Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne (PS) gab es dann sehr kurzfristig grünes Licht. „Es hat viel Überzeugungskraft gekostet“, sagt die Ministerin.
Trotz der Blitzaktion haben sich genügend Unternehmen gefunden, die bereit sind, einen Schüler in den Beruf hereinschnuppern zu lassen.
Dabei muss man allerdings keinesfalls schon die Vorerfahrung mitbringen, über die Moïse verfügt. Jeder ist eingeladen, einmal in die Welt des Handwerks zu schauen.
Denn es gibt leider Vorurteile. Philipp Mauel hat als Schreiner wenig Probleme, Ausbildungsplätze zu vergeben. Dennn der Schreinerberuf gilt in der Öffentlichkeit als besonders kreativ.
„Es ist schön, wenn man sieht, was man geschafft hat“, bestätigt auch Schnupperer Moïse. Mauel erzählt von einem befreundeten Steinmetz, der da größere Probleme hat, obwohl ein Steinmetz genauso kreativ arbeitet wie ein Schreiner. „Stein ist ein Werkstoff, der bei den Menschen nicht so präsent ist, wie Holz“, vermutet Mauel. Schnupperwochen helfen auch, Vorurteile abzubauen und den Reiz mancher vermeintlich langweiligen Berufe zu erleben.
Ein Blick in den Verkaufsraum der Firma Mauel zeigt, wie vielfältig allein der Bereich „Küchen“ ist. Denn diese Küchen sind keine Fernostwaren, sondern Maßarbeit. „Wir bauen die allermeisten Küchen von Grund auf selbst“, erzählt Mauel.
In manchen Küchen sind die Geräte im Inneren versteckt, andere haben ein besonders Design oder eine spezielle Beschichtung, die Fingerabdrücke unsichtbar werden lässt. In diesem Betrieb fertigen die Schreiner noch vieles nach Maß wie beispielsweise spezielle Türen. Den Betrieb gibt es jetzt in dritter Generation.
Sogar mit auf Montage nach Lüttich darf der Schnupperer.
So gar nicht zu den vielen modernen Küchen und Möbeln im Verkaufsraum passt ein alter Schreibtisch, auf dem Unterlagen in altdeutscher Kurrentschrift liegen. Diesen Schreibtisch hat Firmengründer Jakob Mauel als Gesellenstück angefertigt. Handwerk hat eben Tradition.
Diesen Tag verbringt Moïse Roehl in der Werkstatt. Aber in den ersten Tagen hat der engagiete Tischtennisspieler seinen Schnupperbetrieb auch bei Außeneinsätzen kennengelernt und mit angepackt.
„In Lüttich haben wir eine Kücheninsel repariert, in Aachen Fensterbänke nach Maß montiert. Die Kollegen sind jedenfalls mit dem Schnupperer zufrieden, wie auch der Chef bestätigt.
In der Werkstatt steht auch Ellen Cormann. Die Abiturientin hat einen anderen Weg gewählt, um das Handwerk kennenzulernen. Sie besucht die Don-Bosco-Schule in Lüttich, zu deren Lehrplan ein vierwöchiges Praktikum gehört, um sich über den weiteren Berufsweg zu orientieren.
Schnupperpraktikant Moïse kann es sich jedenfalls gut vorstellen, seinen Berufsweg nach dem Abitur als Lehrling bei der Firma Mauel zu beginnen.
Die Möglichkeit, ein Schnupperpraktikum zu machen besteht nicht nur im Handwerk, auch wenn der Schwerpunkt dort liegt. Tatsächlich sind 62 Prozent der Schnupperer in Bauberufen 29,4), KfZ-Gewerbe (16,7), holzbearbeitenden Betrieben (19,4) und grünen Berufen (11,1) untergekommen. Schnupperpraktika scheinen auch „Männersache“ zu sein. 86,1 Prozent sind Jungen. 69,6 Prozent der Schnupperer kommen aus den Eifelgemeinden.
Diese aktuellen Zahlen bedeuten aber keinesfalls, dass sich beispielsweise Eupener Mädchen nicht bei einem Einzelhändler vorstellen dürfen.
Denn das Schnupperpraktikum ist eine unbürokratische Angelegenheit. Wer sich ausprobieren möchte, muss einfach nur den Wunschbetrieb anrufen und das fragen.
Alles Administrative läuft über das IAWM, das auch dafür sorgt, dass eine gute Unfallversicherung für die Schnupperwochen besteht.
Die Betriebe sind gerade jetzt in Zeiten den Nachwuchsmangels sehr an dieser Orientierung interessiert. 54 Prozent aller Lehrlinge sind durch die Schnupperwochen zum ersten Mal mit dem späteren Beruf in Berührung gekommen. Das heißt aber keinesfalls, dass jeder Schnupperer später Handwerker wird. Hier findet sich auch derjenige, der die Woche im Betrieb erlebt hat und dort gesehen hat, dass für ihn ein Studium oder eine andersgeartete Ausbildung der bessere Weg ist.
Das Konzept der Schnupperwochen hat sich so bewährt, dass es Nachahmer in den anderen Landesteilen gefunden hat. Bei den Flamen gibt es „Snuffelweken“ und bei den Frankofonen „Le lapin malin“. „Die haben bei uns abgeguckt“, sagt IAWM-Chefin Verena Greten nicht ohne einen gewissen Stolz.
Zumal: Hier gibt es die Schnupperwochen schon seit genau 30 Jahren.
GrenzEcho am 06.04.2023