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Lydia Klinkenberg über den Wohnungsbau

Lydia KLINKENBERG (ProDG) ging in ihrer Rede auf das Programmdekret zum Wohnungsbau ein:

AUTONOMIEENTWICKLUNG ALS HERAUSFORDERUNG

Es ist meine feste Überzeugung, dass die Zuständigkeiten Raumordnung, Wohnungsbau und Energie von großer Bedeutung für die Autonomieentwicklung unserer Gemeinschaft sind und ihre Übertragung als enormer Verhandlungserfolg zu werten ist. Denn diese Zuständigkeiten geben uns die notwendigen Werkzeuge an die Hand, den Wirtschaftsstandort und Lebensraum Ostbelgien attraktiver und nachhaltiger zu gestalten. Nun wird seit Wochen und Monaten unter Hochdruck daran gearbeitet, die Übernahme der Zuständigkeiten bis Ende des Jahres bestmöglich vorzubereiten, um in einer Übergangsphase, die Kontinuität der bestehenden Dienstleistungen zu gewährleisten. Die Übertragung all dieser neuen Befugnisse ist meines Erachtens neben der 6. Staatsreform eine der größten Herausforderungen seit der Übertragung des Unterrichtswesens Ende der 1980er Jahre, was nicht zuletzt – damals wie heute – der aktuellen Presse und den erhitzten Gemütern zu entnehmen ist. Um es mit anderen Worten zu sagen: Wir haben ein riesen Paket unter dem Weihnachtsbaum liegen… Sicherlich: Es fehlen uns die Erfahrungswerte. Doch eine Herausforderung stellt auch immer eine Chance dar: die Chance, zu entbürokratisieren, die Instrumente an den tatsächlichen Bedarf in unserem kleinen Ostbelgien anzupassen und so einen zusätzlichen Mehrwert für unsere Bevölkerung zu schaffen. Denn nein: Ich denke absolut nicht, dass wir zu klein sind, um eine eigene Wohnungsbaugesellschaft zu führen, um nur ein Beispiel zu nennen! Nicht zuletzt genießt die Übertragung ja nun – laut Forsa – einen großen Rückhalt in der Bevölkerung und wurde seit Jahren gut vorbereitet, daran erinnert nicht nur eine Resolution dieses Haus aus dem Jahr 2002. Auch haben verschiedenste Arbeitsgruppen in den letzten Jahren getagt und sich intensiv mit einer Übertragung auseinandergesetzt. Einziger Weg, das Ganze nun zum Erfolg zu führen, ist meines Erachtens ein breiter Konsultationsprozess unter Einbeziehung der Gemeinden und aller betroffenen Akteure.

ENERGIE

Und dann, ab dem 1. Januar 2020, ist es so weit: Wir übernehmen gewisse Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Energieeinsparung und -effizienz in Form von Renovierungs- und Energieprämien und der fachgerechten Beratung von Privatpersonen. Zudem können Personen mit niedrigem Einkommen von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz ihres Wohnraums profitieren.

Denn Gebäude und private Haushalte haben einen nicht zu unterschätzenden Anteil an den Treibhausgasemissionen. Ich habe das schon einmal an diesem Rednerpult gesagt: Beispielsweise verursacht eine Wohnung von 70 Quadratmetern und einer Erdgas-Zentralheizung in einem energetisch schlechten Mehrfamilienhaus – laut einem Artikel im deutschen Handelsblatt vom 19.10.2018 – jährlich 4,1 Tonnen CO2-Emissionen, während eine Wohnung in einem energetisch guten Mehrfamilienhaus „lediglich“ mit 1,5 Tonnen zu Buche schlägt.

Das Wohnungswesen ist daher ein prioritäres Handlungsfeld im Bereich des integrierten Energie- und Klimaplans der Deutschsprachigen Gemeinschaft, durch den unsere CO2-Bilanz deutlich verbessert werden soll.

Doch auch im Bereich der Armutsbekämpfung hat die Zuständigkeit einen Mehrwert:  Gerade während der kalten Wintermonate – rund um die Weihnachtszeit – stehen viele einkommensschwächere Haushalte vor großen finanzielle Herausforderungen, wenn beispielsweise der Heizöl-Tank – bzw. Mazout-Tank, wie man bei uns sagt – mal wieder leer ist oder die Jahresabrechnung des Energieanbieters in den Briefkasten fliegt.

Die neuen Zuständigkeiten bieten also eine Menge Potenzial.

WOHNUNGSWESEN

Ich habe es bereits am Dienstag gesagt: Vor allem im Bereich der Barrierefreiheit, der Vorbereitung auf den demographischen Wandel und der bereits von mir genannten Armutsbekämpfung bietet der soziale Wohnungsbau viele neue Möglichkeiten.

Ab dem nächsten Jahr – also in einigen Wochen – wird das wallonische Gesetzbuch über nachhaltiges Wohnen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft gültig sein. Daher mussten kurzfristig einige Anpassungen vorgenommen werden. In einer zweiten Phase wird dann mit allen betroffenen Akteuren im Rahmen einer Arbeitsgruppe eine Gesamtvision für das ostbelgische Wohnungswesen erarbeitet, auf die wir gespannt sind. Ich möchte ausdrücklich begrüßen, dass man sich für die Ausarbeitung neuer, maßgeschneiderter Gesetzgebungen die notwendige Zeit nimmt: Zeit für einen konstruktiven Dialog mit allen Akteuren, Zeit  für eine gründliche Arbeit. Mit Schnellschüssen ist nämlich niemandem gedient.

Öffentliche Wohnungsbaugesellschaften

Einer der wichtigsten Akteure sind die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, denn sie bauen und vermieten Wohnungen für Personen oder Familien in prekären Situationen. Fernab aller politischen Reibereien geht es also vor allem darum, Menschen in Schwierigkeiten guten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Derzeit gibt es in Ostbelgien zwei Wohnungsbaugesellschaften: den öffentlichen Wohnungsbau Eifel (OEWBE) im Süden und NOSBAU im Norden, mit der Besonderheit dass Letztere auch im französischsprachigen Sprachgebiet tätig ist. Daher wird es für NOSBAU bis Ende Februar nächsten Jahres eine Übergangszeit geben, in der sich die deutschsprachigen Gemeinden im Norden der DG von der jetzigen Wohnungsbaugesellschaft abspalten, um sich in eine neue Gesellschaft umzuwandeln. In einem zweiten Schritt wird sie dann mit dem Öffentlichen Wohnungsbau Eifel fusionieren, so dass es ab dem Sommer nur noch eine einzige Wohnungsbaugesellschaft für die neun deutschsprachigen Gemeinden geben wird, was in unserem kleinen Ostbelgien vollkommen ausreicht und dazu beiträgt, alle Kräfte effizient zu bündeln. Dies wurde im vorliegenden Programmdekret entsprechend berücksichtigt, mit dem Ziel, NOSBAU mehr Zeit zu verschaffen, die sich zudem im Moment – wie bereits der öffentliche Wohnungsbau Eifel zuvor – in einer personell schwierigen Situation befindet.

Soziale Immobilienagenturen

Neben den Öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften sind außerdem die beiden sozialen Immobilienagenturen Tri-Landum im Norden und Wohnraum für alle im Süden wichtige Akteure im Wohnungswesen. Ihre Aufgabe ist es, Wohnraum von Privateigentümern an einkommensschwächere Menschen zu vermitteln und ihnen dabei zu helfen, eine angepasste Wohnung zu finden. Ihre Bezuschussung und die damit einhergehenden Bedingungen werden künftig im Rahmen einer Vereinbarung mit der Regierung geregelt. Gleichzeitig soll ihre Rolle im Sinne der Subsidiarität gestärkt werden.

Dienstleistungen

Auch im Bereich der Dienstleistungen wird auf Kontinuität gesetzt: Sowohl die Einkommensversicherung für Hypothekendarlehen, die Sozialkredite für Immobilienankauf und Renovierung, die Mietbeihilfen als auch die Umzugs- und Mietprämien aus gesundheitlichen, Überbelegungs- oder Gründen der Barrierefreiheit bleiben aufrecht erhalten.

Beirat

Neu ist, dass in Zukunft ein Beirat für Wohnungswesen und Energie bei technischen Fragen zu Rate gezogen werden soll.

Im diesem Beirat sollen neben den Wohnungsbaugesellschaften und den sozialen Immobilienagenturen sowohl die nördlichen und südlichen DG-Gemeinden als auch die ÖSHZ, der WSR und die DSL sowie die Verbraucherschutzzentrale vertreten sein.

FAZIT

Da wir ja nun kurz vor der Bescherung stehen, möchte ich noch einmal die Prioritäten der ProDG-Fraktion im Bereich Wohnungsbau in Form einer Wunschliste zusammenfassen:

Wir möchten Ghettoisierung vermeiden und plädieren für eine bestmögliche Unterstützung von einkommensschwächeren Personen und Familien. Das bedeutet auch, dass wir eine Explosion der Mietpreise vermeiden müssen.

Wir fordern – aufgrund fehlender Erfahrungswerte – eine zeitnahe Bedarfs-, Bestands- und Wohnbarkeitsanalyse und das vor allem mit Blick auf bezahlbaren, qualitätsvollen, gesunden und energieeffizienten Wohnraum hier in der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Zudem halten wir transparente Vergabekriterien und unabhängige Einspruchsmöglichkeiten für unerlässlich in unserem kleinen Ostbelgien. Überaus wichtig bleibt zudem, dass die Gemeinden als Partner in den Prozess einbezogen werden.

Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung vor einigen Wochen eine Legislaturperiode des Aufbruchs versprochen. Er hatte Mut zu Veränderungen eingefordert, um unsere Gemeinschaft zukunftsfähig zu machen. Das ist angesichts der globalen Herausforderungen unbedingt notwendig. Selbstverständlich sind wir uns der Größe der Aufgaben bewusst und nehmen unsere Verantwortung ernst. Wir vertrauen aber auch darauf und sind zuversichtlich, dass wir auch diese neuen Zuständigkeiten nutzen können und werden, um konkrete Mehrwerte für unsere Bevölkerung zu schaffen, so wie die Ostbelgier es, abgeleitet aus den diesbezüglichen Forsa-Ergebnissen, von uns erwarten. Das nächste Jahr wird garantiert nicht langweilig!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!