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Unser Platz im Föderalstaat: Forderungen der DG untermauert

Im Hinblick auf die anstehenden Wahlen muss auf föderaler Ebene eine Liste der Verfassungsartikel erstellt werden, die nach den Wahlen angepasst werden dürfen. Die DG hat in verschiedenen Resolutionen bereits mehrfach ihren Standpunkt und ihre Forderungen für den Platz der Deutschsprachigen Gemeinschaft im belgischen Föderalstaat erklärt. In einer Resolution fordert die DG daher die entsprechenden Instanzen dazu auf, die entsprechenden Verfassungsartikel für die Forderungen der DG in die Liste aufzunehmen. Freddy Cremer hat dazu im Plenum ausführlich Stellung bezogen.

Sehr geehrter Herr Präsident,

werte Kolleginnen und Kollegen aus Regierung und Parlament

 

In den vergangenen 50 Jahren hat es bedeutende Autonomieerweiterungen gegeben. Seit über einem halben Jahrhundert hat sich die „Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Windschatten der belgischen Staatsreformen“, wie es der an der Universität Antwerpen forschende Wissenschaftler Christoph Niessen umschrieb, immer weiterentwickelt. Und dieser dynamische Prozess ist keineswegs abgeschlossen.

Der zukünftige Autonomieausbau kann, wie jeder in diesem Haus zur Genüge weiß, über zwei Wege erfolgen: entweder über eine weitere Staatsreform; das wäre dann die 7. im Prozess der 1970 eingeleiteten progressiven Umwandlung Belgiens von einem Zentralstaat in einen Föderalstaat, oder über die weitere Aktivierung von Artikel 139 der Verfassung, der die Übertragung von Zuständigkeiten der Wallonischen Region an unsere Gemeinschaft ermöglicht. Das war zum letzten Mal 2019 der Fall, als die Raumordnung, das Wohnungswesen und Teile der Energiepolitik nach langen Verhandlungen an die DG übertragen wurden.

Die Frage der Autonomieerweiterung ist für unsere Gemeinschaft von essenzieller Bedeutung.

Neben dem heute zur Abstimmung vorliegenden Resolutionsvorschlag in Bezug auf die Erklärung zur Revision der Verfassung arbeitet Ausschuss I gleichzeitig an einem zweiten Resolutionsvorschlag, in dem die Übertragung der Ausübung weiterer Regionalbefugnisse von der Wallonischen Region an unsere Gemeinschaft gefordert wird.

Ab der kommenden Legislaturperiode sollten die diesbezüglichen Verhandlungen zwischen den Regierungen beider Gliedstaaten wieder aufgenommen werden.

Die Forderung nach weiteren Zuständigkeiten hat nichts mit einer Autonomie-Hybris zu tun. Diese Forderungen resultieren einzig aus der Erkenntnis, dass wir ganz im Sinne der Subsidiarität davon überzeugt sind, diese Zuständigkeiten vor Ort besser gestalten zu können, als das beispielsweise eine Behörde in Namur für uns tun kann.

Im Bestreben nach einem weiteren Autonomieausbau ist die unter der Leitung von Professor Bayenet erstellte wissenschaftliche Studie zu den finanziellen Ressourcen der Deutschsprachigen Gemeinschaft von größter Bedeutung. Die Forscher des Département d’économie appliquée der ULB kommen in ihrer wissenschaftlichen Analyse mit dem Titel „Simulateur budgétaire des dépenses de la Communauté germanophone“ zu der Schlussfolgerung, dass „die Deutschsprachige Gemeinschaft durchaus finanziell in der Lage ist, weitere regionale Zuständigkeiten auf der Grundlage des aktuellen Finanzierungssystems zu übernehmen oder auf der Grundlage des Finanzierungssystems, das derzeit für die anderen Regionen gilt, eine eigene Region zu bilden.“ (Resolutionstext)

Bevor ich auf den vom Berichterstatter bereits sehr detailliert vorgestellten Resolutionsvorschlag etwas näher eingehe, möchte ich einige grundsätzliche Aussagen voranstellen.

In den vergangenen 50 Jahren hat noch jede Zuständigkeit, egal ob sie vom Föderalstaat oder von der Wallonischen Region an die DG übertragen wurde, dazu beigetragen, die Lebensqualität der Menschen in Ostbelgien zu verbessern. Autonomie war und ist zu keinem Zeitpunkt ein Selbstzweck gewesen, sondern immer nur Mittel zum Zweck. Die über 700 Dienstleistungen, die heute in deutscher Sprache in unserer Gemeinschaft angeboten werden, sind das Ergebnis dieser progressiv und dynamisch gewachsenen Autonomie. Nur darum geht es, nicht um selbstverliebte Nabelschau. Wer diese Autonomie in Frage stellt, stellt auch dieses Dienstleistungsangebot in Frage.

Es herrscht allgemeiner Konsens in der Einschätzung, dass es zwischen der föderalen und der gliedstaatlichen Entscheidungsebene zu viele Reibungsverluste gibt.

Das war auch eine wesentliche Aussage der Regierungsbildner Paul Magnette und Alexander De Croo, die in ihrem Bericht vom 30. September 2020 im Kapitel über institutionelle Reformen eine homogenere und effizientere Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gliedstaaten und der föderalen Ebene forderten. Gleich zwei Minister wurden mit dieser Aufgabe betraut und ein breiter Konsultations- und Beteiligungsprozess wurde in die Wege geleitet.

Ich bekenne ganz offen, dass ich es sehr bedauere, dass die sich seit 2020 kumulierenden Krisen dazu geführt haben, dass diese 7. Staatsreform auf Eis gelegt wurde.

Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass eine 7. Staatsreform unumgänglich sein wird.

Diese weitere Staatsreform ist keine Gefahr für die Existenz des belgischen Bundesstaates; ganz im Gegenteil, eine Neuordnung des institutionellen Gefüges ist unumgänglich, um den Fortbestand Belgiens zu sichern. Eine 7. Staatsreform, die die Modernisierung der Staatsstrukturen als wesentlichstes Ziel hat, ist das beste Mittel, um all denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die immer wieder behaupten, dass dieser Staat keine Zukunft habe und ein Beispiel von Ineffizienz sei.

Die Deutschsprachige Gemeinschaft gibt aber in dieser Frage nicht den Takt vor. Aber wir müssen stets bereit sein, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle unsere Forderungen vorzubringen.

Dabei gilt nach wie vor die zentrale Forderung aus der Grundsatzerklärung des Parlaments vom 27. Juni 2011, dass die DG ein gleichberechtigter Gliedstaat im zukünftigen Staatsgefüge sein muss und bestätigt, dass die DG bereit, gewillt und in der Lage ist, mit jeweils angemessenen Finanzmitteln oder Finanzierungsmöglichkeiten alle Zuständigkeiten wahrzunehmen, die den belgischen Gliedstaaten im Rahmen der Staatsreformen bisher übertragen wurden oder in Zukunft übertragen werden.

Diese Gleichwertigkeit der Gliedstaaten und dieses Föderalismusmodell, in dem alle Gliedstaaten auf Augenhöhe sind, ist für uns eine grundlegende Forderung. ProDG lehnt strikt jedes Modell ab, in dem es Regionen und Unterregionen, Gemeinschaften und Untergemeinschaften gibt. Wir sind davon überzeugt, dass ein Belgien zu viert die beste Lösung ist; sagen aber auch, dass diese Zahl nicht der entscheidende Maßstab oder das entscheidende Kriterium ist. Entscheidend ist, ich sage es noch einmal, die Gleichwertigkeit und Gleichgewichtigkeit aller Gliedstaaten im Bundesstaat Belgien.

Ich habe diese Position bereits mehrfach mit dem Bild eines Eisenbahnzugs verdeutlicht. Wir lehnen ein förderalstaatliches Modell ab, in dem manche Gliedstaaten in der 1. Klasse und andere Gliedstaaten in der 2. Klasse fahren.

Werte Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Resolutionsvorschlag in Bezug auf die Erklärung zur Revision der Verfassung  ist die logische Weiterführung der bereits eben genannten Grundsatzerklärung unseres Parlaments zur Positionierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Prozess der Staatsreform, sowie der Resolution vom 6. Mai 2019 zur Autonomieentwicklung unsere Gemeinschaft in der belgischen Staatsstruktur und der Resolution vom 25. März 2019 in Bezug auf die garantierte Vertretung der DG-Bevölkerung in den Parlamenten, die Zuständigkeiten im deutschen Sprachgebiet ausüben.

Neben der bereits oben genannten Forderung, die DG als einen autonomen und gleichwertigen Bestandteil kohärent in die belgische Staatstruktur einzubetten, fordern wir die Abgeordnetenkammer, den Senat und die föderale Regierung auf, die Artikel in die Erklärung zur Revision der Verfassung aufzunehmen, damit die Voraussetzungen für eine verfassungsrechtlich garantierte und angemessene Vertretung in der Abgeordnetenkammer, im Senat und im Wallonischen Parlament geschaffen werden.

Eine „angemessene Vertretung“ folgt nicht nur der reinen mathematischen Proportionalität, sondern berücksichtigt vor allem die Tatsache, dass die Bevölkerung des deutschen Sprachgebiets eine nationale Minderheit ist und die drei Gemeinschaften des Landes laut Artikel 2 der Verfassung gleichgestellt sind und daher auch die DG Anspruch auf eine angemessene Vertretung in den beiden föderalen Kammern und im Wallonischen Regionalparlament hat.

Um eine garantierte und angemessene Vertretung der Bevölkerung des deutschen Sprachgebiets in der Abgeordnetenkammer zu erreichen, müssen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen eigenen Wahlkreis ohne Listenverbindung für das deutsche Sprachgebiet geschaffen werden.

Hier sei nur daran erinnert, dass die Schaffung eines eigenen Wahlkreises bereits 1925 – also schon vor fast 100 Jahren – im Rahmen der Diskussionen über das Eingliederungsgesetz erörtert wurde.

Hinsichtlich der Lösung der Provinzfrage für das deutsche Sprachgebiet fordern wir, dass die Artikel der Verfassung in die Revisionserklärung aufgenommen werden, um das deutsche Sprachgebiet – nach dem Vorbild des zweisprachigen Gebiets Brüssel-Hauptstadt – in ein provinzfreies Gebiet umzuwandeln, einschließlich der Übertragung der steuerlichen Befugnisse, die die provinzialen Organe bislang ausgeübt haben.

Die ProDG-Fraktion unterstützt nicht die in einem von Vivant hinterlegten Resolutionsvorschlag aus dem Jahre 2021 geforderte Abschaffung der zehn Provinzen. Wir sind der Überzeugung, dass Flamen und Wallonen selbst über die Zukunft ihrer provinzialen Einrichtungen entscheiden und die Deutschsprachigen sich auf ihre Kernforderung konzentrieren sollen. Wir sind überzeugt, dass dieser Weg am ehestens zum Erfolg führt.

Wir begründen unsere Forderung nach einem provinzfreien Gebiet mit der Kleinheit unserer Gemeinschaft, der sehr engen Zusammenarbeit zwischen der Deutschsprachigen Gemeinschaft und den neun Gemeinden und mit dem aktuell bestehenden beträchtlichen Verwaltungsaufwand

Werte Kolleginnen und Kollegen, die Erklärung zur Revision der Verfassung ist eine erste Etappe auf dem Weg zu einer siebten Staatsreform.

Ob es in der kommenden Legislatur zu einer grundlegen Reform im Sinne der Effizienz, der Transparenz und der Vereinfachung des belgischen Staatsgefüges kommen wird, bleibt abzuwarten. Wir stehen vor grundlegenden politischen Weichenstellungen. Dabei steht auch für die Deutschsprachige Gemeinschaft viel auf dem Spiel und unser Parlament sollte sich in diesen grundlegenden Fragen bei den föderalen Entscheidungsinstanzen mit einer Stimme zu Wort melden.

Ich muss keine Kristallkugel besitzen, um zu prognostizieren, dass dieses Thema auch in der kommenden Legislaturperiode im Parlament unserer Gemeinschaft ein politischer Dauerbrenner sein wird.

Bleibt mir nur noch zu sagen, dass wir dieser Resolution in allen Punkten zustimmen werden.

 

Freddy Cremer (ProDG-Fraktion)

PDG, 25. März 2025