Ist jedes Leben gleich viel wert?
Bei „Risikogruppe“ denken die Meisten sofort an: alt und schwach. Doch das ist nicht immer so. Wir sind jung, stehen mitten im Leben, teils trotz massiver Einschränkungen. Doch ist deshalb das Leben vorbei oder nicht mehr lebenswert?
Zurzeit sieht das Leben für Alle – und natürlich ganz besonders für uns – anders aus.
Ich gehe nicht mal einkaufen, das machen andere für mich. Man macht einen großen Bogen um andere Menschen, sogar um die eigene Familie. Selbst mit den Lockerungen bleibt es bei Videoanrufen oder mal einem Treffen im Garten mit viel Abstand. Das wird sich auch in den nächsten Monaten nicht ändern.
Es sind viel mehr Menschen betroffen als man denkt. Sie leiden an Herz- oder Lungenerkrankungen – da reicht schon Asthma. Schwerstbehinderte, Diabetiker, Krebspatienten und Menschen mit heruntergefahrenem Immunsystem gehören ebenfalls dazu. Man sieht es einem Menschen nun mal oft nicht an, ob er zur Risikogruppe gehört oder nicht. Auch Kinder und junge Leute sind betroffen. Wir alle wollen ein so normales Leben wie möglich führen.
Man ist sich des Risikos bewusst, man lebt damit schon sein Leben lang. Die Hygieneregeln gehören seit immer zum Alltag. Abstand halten in Zeiten der Grippewelle ist normal.
Ungewissheit gehört zum Alltag. Das, was heute geht, ist morgen vielleicht unmöglich. Somit muss täglich die Balance gefunden werden zwischen Lebensqualität und Vorsicht. Risiken abwägen, ein ständiges „was ist es mir wert“ dies oder jenes zu tun? Und die Gewissheit: totale Sicherheit gibt es nicht.
Und plötzlich muss ein jener lernen, mit einer bewusst gewordenen Unsicherheit zu leben. Gar nicht so einfach oder? Stimmen werden laut: warum Alle einschränken für das Leben von ein paar Alten und Schwachen? Aber so einfach es nicht, denn jeder hat das Recht sein Leben zu leben, nach seinen Möglichkeiten.
Jeder sollte darüber nachdenken, welchen Einfluss sein Handeln auf das Leben der Anderen hat. Die Freiheit der Einen sollte nicht zu totaler Isolation der Anderen führen. Risikopatienten sind sich ihrer Einschränkungen bewusst. Wir sind nie zu 100% geschützt! Aber jeder Einzelne hat ein Recht auf Lebensqualität. Wir brauchen kein Mitleid, sondern ein Mindestmaß an Rücksicht, an Verständnis, an Solidarität. Wir möchten den Platz in der Gesellschaft erhalten, den jeder braucht, um in seinem Rahmen ein lebenswertes Leben zu führen!
Liesa Scholzen, ProDG-Mandatarin und Risikopatientin