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MP Oliver Paasch zum Brexit

Ein Sieg der Unvernunft

Ministerpräsident Oliver Paasch äußert sich zur Entscheidung der Briten.

Einige Tage nach dem beschlossenen Brexit tut es immer noch weh: Europa ist ärmer geworden.

Grossbritannien kehrt der EU nach 43 Jahren den Rücken. Die EU verliert nicht nur ihre zweitgrösste Volkswirtschaft sondern auch mehr als 60 Milllionen Einwohner. Es ist zwar nicht auszuschliessen, dass zumindest den 5 Millionen Schotten über ein Unabhängigkeitsreferendum noch der Exit aus dem Brexit gelingt. Und wie die europafreundlichen Nordiren reagieren, bleibt ebenfalls abzuwarten. Fest steht aber schon jetzt:  Das Gewicht der EU nimmt ab. Unsere Einflussmöglichkeiten in der Welt sind kleiner geworden.

Wir alle haben verloren. Es ist ein Sieg der Unvernunft.

Unter der Entscheidung der Briten werden alle leiden: die EU, die 27 verbliebenen Mitgliedsstaaten  und ganz besonders Grossbritannien selbst. Davor hatten im Vorfeld alle Fachleute gewarnt. Der Brexit wird der Wirtschaft Schaden zufügen. Er wird abertausende Arbeitsplätze kosten – vor allem in Grossbritannien. Jeder, der sich mit unserem Wirtschaftssystem auskennt, weiss das. Aber kein rationales Argument konnte überzeugen. Gegriffen hat stattdessen das Spiel mit der Angst. Ausländerfeindlichkeit, der Hass auf die “klassische Politik”, Egoismus, Abgrenzung, Angst vor “Überfremdung”,… das waren die emotionalen Triebfedern der Brexit-Befürworter. Und es hat funktioniert. Die Emotio hat über die Ratio gesiegt. Die einzigen Gewinner des Referendums sind die Rechtspopulisten in Grossbritannien und überall in Europa.

Die dumpfen Parolen der Populisten haben gegriffen.

Die hasserfüllte Abgrenzungsrhetorik von Parteien wie AFD, FPÖ und UKIP kommt vielerorts gut an.

Und dass dem so ist, muss uns allen zu denken geben. Unsere Grossväter haben in einer Welt gelebt, wie sie die Rechtspopulisten heute vorschlagen. Sie haben am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn solche Kräfte die Macht übernehmen. Ich möchte meinen Kindern eine solche Welt nicht zumuten.

Alle Demokraten sind aufgefordert, sich diesem Populismus mit aller Kraft entgegenzustellen. Dagegen müssen wir alle aufstehen!  In diesen Zeiten ist politischer Mut gefordert. Mut zu klarer Kante! Nichts spielt den Populisten mehr in die Karten als seriöse Parteien, die ihnen hinterherlaufen. Politiker sollten sich davor hüten, aus Opportunismus die Thesen von Rechtspopulisten salonfähig zu machen. Politiker sind heute mehr denn je aufgefordert, zu ihren Überzeugungen zu stehen. Sie dürfen ihre Überzeugungen nicht aus primitivem Eigennutz verraten. Sie müssen den Mut aufbringen, gegen den vermeintlichen Strom zu schwimmen. Ansonsten schaffen sie sich selbst ab. Sie müssen bereit sein, über Legislaturperioden hinaus zu denken und in Kauf nehmen, dass sie ihr Amt dabei verlieren können. Kein Posten ist gross und wichtig genug, um den Verrat an sich selbst und den Verkauf eigener Grundüberzeugungen zu rechtfertigen. Es muss um mehr gehen als um Macht und Ämter. Politiker sollten den Bürger nicht unterschätzen: er entlarvt Opportunisten sehr schnell. Er wählt meistens das Original und selten die Kopie.

Wir müssen begreifen, dass die Krise der EU auch eine Krise der Demokratie ist.

“Politiker” erleben überall in Europa eine tiefe Vertrauenskrise. Der Begriff “Politiker” gehört zu den meist verwendeten Schimpfworten. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Denn eine Demokratie braucht Politiker. Ohne Volksvertreter kann Demokratie nicht funktionieren. Wir Politiker müssen uns endlich bewusst werden, dass Schönfärberei nicht weiterhilft. Es gibt keine Ausreden mehr. Wir müssen uns alle in Frage stellen.

Wir müssen uns endlich der tiefen Krise bewusst werden.

Wir müssen alles tun, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zurückzugewinnen muss zur wichtigsten Priorität politischen Handelns werden. Dazu gehört Bescheidenheit im Auftritt und im Handeln. Dazu gehört maximale Transparenz und Rechenschaft über unser Tun. Dazu gehört, dem Bürger zuzuhören, auf ihn zuzugehen, ihn ernst zu nehmen. Wir Politiker dürfen uns nicht mit uns selbst beschäftigen. Wir müssen uns den Themen zuwenden, die die Menschen wirklich bewegen.  Auf allen Entscheidungsebenen:  In Europa, in Belgien, in der DG, in den Gemeinden… Dafür und für nichts anderes hat der Wähler uns einen Auftrag erteilt.

 Dazu gehört auch, Instrumente der direkten und partizipativen Demokratie zuzulassen. Denn: Wenn wir Politiker wollen, dass der Bürger uns vertraut, dann müssen wir auch dem Bürger vertrauen. Vertrauen gibt es nicht als Einbahnstrasse. Es beruht immer auf Gegenseitigkeit.

Ein “weiter so” darf es jedenfalls für uns Politiker nicht geben.

Ansonsten fahren wir unsere freiheitliche, demokratische Grundordnung an die Wand. Das kann niemand wollen. Es gibt keine wünschenswerten Alternativen zur Demokratie.

Und es gibt keine wünschenswerten Alternativen zu einem friedlich vereinten Europa.

Soviel müssten wir eigentlich aus den beiden Weltkriegen gelernt haben. Ja, die EU muss dringend reformiert werden. Wir brauchen eine Neuverteilung der Aufgaben zwischen allen Entscheidungsebenen nach dem Prinzip der Subsidiarität. Die EU soll sich um jene Fragen kümmern, die Regionen und Nationalstaaten nicht alleine bewältigen können. Was Regionen und Staaten sinnvollerweise selbst entscheiden können, sollen sie auch alleine entscheiden können. Wir brauchen eine Grundsatzdiskussion darüber. Klar muss aber auch sein, dass die EU über jene Fragen, die ihr übertragen werden, alleine entscheiden können muss. Ohne Vetorechte einzelner Mitgliedsstaaten. Nur so kann die EU handlungsfähig werden. Dabei muss ein ganz zentraler Grundsatz gelten: Das EU-Parlament muss gestärkt werden! Wenn wir als EU nicht bereit sind, in unserem eigenen institutionellen Aufbau elementare demokratische Grundsätze anzuwenden, verlieren wir vollends unsere Glaubwürdigkeit.

Die EU ist von konkretem Mehrwert für uns alle. Die EU ist Garant für Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent. Das dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzten.  Deshalb müssen wir die EU grundlegend reformieren und zukunftsfähig machen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte, zu denen ausdrücklich auch die “Solidarität” gehört. Ohne Solidarität kann keine Gesellschaft dauerhaft überleben. Wenn jeder nur an sich selbst denkt, kann kein System der Welt funktionieren. Die Rechtspopulisten haben den “Egoismus” zum Programm gemacht. Auch dagegen müssen wir uns wehren!

 

Foto: MP Oliver Paasch mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz

Quelle: www.http://oliver-paasch.eu/